In einem Kommentar in „Lancet“ diskutiert Dr. James D. Shelden zehn Missverständnisse, von denen er annimmt, dass sie die HIV-Prävention behindern.
Trotz wesentlicher weltweiter Fortschritte gegen Aids verlieren wir weiterhin an Boden, da die Rate der Neuinfektionen die Anzahl jener, die in den Entwicklungsländern eine antiretrovirale Therapie beginnen, in den Schatten stellt. Während das Auftreten der Erkrankung in Uganda, Kenia und Simbabwe zurückgeht, schreitet die allgemeine Epidemie voran. Der von Dr. James Shelton, Bureau for Global Health, US Agency for International Development, Washington verfasste Kommentar trifft zeitlich mit dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember zusammen.
[COLOR=”Red”]HIV verbreitet sich wie ein Buschfeuer[/COLOR] – [B]Das tut es üblicherweise nicht.[/B] In den ersten Wochen mit einem hohen Viren-Titer ist HIV sehr infektiös, in der nachfolgenden, viele Jahre währenden ruhigen Phase jedoch nicht mehr. Nur etwa 8 Prozent der Menschen, deren primäre heterosexuelle Partner das Virus hatten, werden jährlich infiziert, was ansatzweise erklären kann, warum HIV den größten Teil der Weltbevölkerung bislang verschont hat. Die Epidemie in Afrika jedoch erscheint vor allem vorangetrieben durch parallele Partnerschaften, also gleichzeitige Beziehungen zu mehreren Partnern, was die schnelle Verbreitung neuer Infektionen ermöglicht.
[COLOR=”red”]Prostitution ist das Problem[/COLOR] – [B]Offizielle Prostitution wird bei der Epidemie in Afrika als eher unwahrscheinlich betrachtet[/B]. Nur 2 Prozent der Männer in Lesotho bestätigten bezahlten Sex im vergangenen Jahr, jedoch berichteten 29 Prozent von mehreren Partnern. Solange die ökonomische Situation mehrfache Partnerschaften und Prostitution erlaubt, hat die Zielrichtung vorbeugender Kampagnen gegen bezahlten Sex nur geringen Nutzen.
[COLOR=”red”]Männer sind das Problem[/COLOR] – [B]Wenn das Verhalten der Männer zu den HIV-Epidemien beiträgt, so benötigt eine heterosexuelle Epidemie doch auch einige Frauen mit mehreren wechselnden Partnern.[/B] Eine repräsentative nationale Studie von kenianischen Paaren aus dem Jahr 2003 enthüllte, dass in 3,7 Prozent der Fälle beide Partner HIV-positiv waren, zu 4,6 Prozent nur die Frauen und zu 2,8 Prozent nur die Männer.
[COLOR=”red”]Erwachsene sind das Problem[/COLOR] – [B]Allgemeine Epidemien überspannen jedes reproduktive Alter, daher haben Kampagnen bei jungen Menschen, beispielsweise zur sexuellen Zurückhaltung, so wichtig sie auch wären, nur geringen Nutzen.[/B]
[COLOR=”red”]Armut und Ausgrenzung sind das Problem [/COLOR]- [B]Während diese Faktoren zu risikoreichem Sexualverhalten führen können, sind HIV-Infektionen paradoxerweise bei wohlhabenderen Menschen allgemein weiter verbreitet, da ein gewisser Wohlstand parallele Partnerschaften womöglich fördert.[/B] Man beachte das Beispiel Simbabwes, wo sich die HIV-Infektionsrate auch ohne wesentliche Verbesserungen bezüglich Armut und Ausgrenzung trotz erheblichem ökonomischen und sozialen Elends verringerte.
[COLOR=”red”]Kondome sind die Antwort[/COLOR] – [B]Kondome können zur Eindämmung einer massiven Epidemie beitragen und einige Einzelpersonen schützen, insbesondere Prostituierte.[/B] Dennoch haben sie nur eine geringe Wirkung bei generalisierten, also über die Risikogruppen hinaus in die allgemeine Bevölkerung vordringenden Epidemien, da viele ihren Gebrauch ablehnen (insbesondere in regulären Beziehungen), der Schutz unzureichend und der Gebrauch unregelmäßig ist. Kondome scheinen zudem die Hemmschwelle zu senken, wenn sich Menschen auf riskanten Sex einlassen, entweder mit Kondomen oder mit der Absicht, diese zu benutzen.
[COLOR=”red”]HIV-Tests sind die Antwort[/COLOR] – [B]Die Kenntnis des eigenen HIV-Status sollte eine Verhaltensänderung bewirken, jedoch sind die Hinweise hierfür, insbesondere bei der großen negativ getesteten Mehrheit, entmutigend;[/B]zudem müssen solche Verhaltensänderungen über viele Jahre anhalten, bevor sie Wirkung zeigen. Außerdem werden aktuell neu infizierte und somit hoch ansteckende Personen bislang nicht HIV-positiv getestet.
[COLOR=”red”]Behandlung ist die Antwort[/COLOR] – [B]Obwohl eine Behandlung die Übertragbarkeit verringern und theoretisch auch eine Verhaltensänderung fördern könnte, gibt es bislang keine klaren Hinweise darauf.[/B] Tatsächlich könnten die positiven Effekte von den negativen überwogen werden, wie beispielsweise durch wieder aufgenommene sexuelle Aktivität, sobald sich die Patienten nach einer antiretroviralen Therapie besser fühlen. Dazu gehört auch riskanter Sex, wenn die Menschen realisieren, dass eine HIV-Infektion nicht zwangsläufig ein Todesurteil bedeutet.
[COLOR=”red”]Neue Methoden sind die Antwort [/COLOR]- [B]Es wird weiterhin fieberhaft an neuen Impfstoffen, Mikrobiziden und vorbeugenden antiretroviralen Wirkstoffen gearbeitet, ein Erfolg jedoch scheint in weiter Ferne. [/B]Jegliche Erfolge an sich könnten nur auf die Hochrisikogruppe abzielen und somit risikoreiches Verhalten bestärken. Sogar die männliche Beschneidung, unverkennbar effektiv und dringend zu fördern, wird Jahre brauchen, um einen zusätzlichen wesentlichen Effekt zu erzielen.
[COLOR=”red”]Das Sexualverhalten wird sich nicht ändern[/COLOR] – [B]Angesichts der tödlichen Erkrankung werden viele Menschen ihr Verhalten ändern, siehe am Beispiel homosexueller Männer in den USA in den 1980er Jahren oder dem Rückgang der mehrfachen Sexualpartnerschaften in Kenia.[/B]
Dr. Shelton ist der Meinung, dass man sich auf den wichtigsten Antrieb der generalisierten Epidemie konzentrieren sollte – die multiplen Partnerschaften, ein Risiko, das die Menschen nicht ausreichend wahrnehmen und dessen technische Beurteilung erst kürzlich erfolgte. Er ist jedoch der Ansicht, dass eine Einschränkung der Partnerschaften vernachlässigt wurde, da dies neben anderen Gründen einen Beigeschmack des Moralisierens habe und derartige massenhafte Verhaltensänderungen den meisten medizinischen Berufen völlig fremd sind.
Der Autor folgert: “Glücklicherweise können wir ein die Anzahl der Partner einschränkendes Verhalten bestärken, ähnlich den Verhaltensänderungen, die viele Menschen spontan durchführten. Moderne verhaltensändernde Maßnahmen, zu denen auch sich explizit an den lokalen Kulturgegebenheiten orientierende Mitteilungen gehören, können die Wahrnehmung des persönlichen Risikos verbessern. Selbst ein geringfügiger Rückgang bei den mehrfachen Partnerschaften könnte die Dynamik der Epidemie wesentlich dämpfen. Andere vorbeugende Ansätze haben ihre Vorzüge, können jedoch in Verbindung mit der Partnereinschränkung weitaus effektiver sein. Nun, nach 20 Jahren versuchter HIV-Prävention sollten wir es endlich richtig machen.“