[B]Es klingt wie eine Zukunftsvision, doch für Neurologen gehört die Entwicklung zum viel versprechenden Arbeitsgebiet: Elektronische Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer, so genannte Brain-Computer Interfaces (BCI), erfassen anhand elektrischer Ströme im Hirn von gelähmten Patienten deren Absichten und setzen sie in technische Signale um. [/B]
Der Patient leidet an Amyotrophischer Lateralsklerose, die rasch voranschreitende, degenerative Erkrankung des Zentralnervensystems erfasste bereits das Sprechvermögen. Doch der Mann kann, obwohl ihm Sprechen und Schreiben nicht gelingen wollen, trotz alledem mit seiner Außenwelt kommunizieren: Ein winziges Gerät liest seine Gedanken ab und verwandelt diese auf einen Bildschirm in visualisierte Buchstabenfolgen.
[B]Eine neue Ära bricht an[/B]
Dass derartige Szenarien, noch vor wenigen Jahren als Science Fiction belächelt, zur Realität avancierten, konnten erstaunte Besucher auf der weltweit größten Computermesse, CeBit, bereits im März 2006 in Hannover bestaunen. Hex-o-Spell, so der Name der Zukunfts Entwicklung, erlaubte damals selbst in lauter Messe-Atmosphäre die Verwandlung von 0,5 gedachten Buchstaben in real existierende, visualisierte Zeichen. Vergangenen Woche endlich attestierten auch Fachleute auf dem Kongress der Deutschen Neurologischen Gesellschaft (DGN) in Berlin pünktlich zum 100-jährigen Bestehen der renommierten Organisation: Der Mensch kann seit geraumer Zeit die Verbindung zwischen Geist und Maschine herstellen, eine neue Ära der Medizin bricht an.
Die Idee, wonach Gelähmte allein mit der Kraft ihrer Gedanken Maschinen steuern sollen, ist seit jeher verlockend. Schon seit Jahren steht die Entwicklung von Systemen für den Dialog zwischen Mensch und Maschine im Mittelpunkt der Forschung – doch erst jetzt scheint die Symbiose zwischen Gehirn und Rechner zu wirklich geglückt. Das Prinzip der Technologie ist, zumindest in der Theorie, einfach: Auf der Kopfhaut angebrachte Elektroden zeichnen die elektrische Hirnaktivität in Form eines Elektroenzephalogramms (EEG) auf. Diese Signale werden verstärkt und gelangen anschließend an einen Computer, der sie in technische Steuerungssignale umwandeln kann. Der Clou: Weil schon die Vorstellung eines speziellen Verhaltens ganz eigene EEG-Signale produziert, lassen sich diese bestimmten Bewegungen eindeutig zuordnen: Das Heben eines Beines etwa liefert – rein gedanklich – andere Muster als das Zugreifen der Hand.
[B]Mit der Kraft der Gedanken[/B]
“Das BCI erkennt die damit korrelierenden Veränderungen des Hirnstrombildes und nutzt sie etwa zur Auswahl zwischen zwei Alternativen: während eine Option durch die Vorstellung, die linke Hand zu bewegen, ausgewählt wird, müsste man sich für die andere Option eine Bewegung der rechten Hand vorstellen”, heißt es dazu auf der Homepage der Berlin Brain Computer Interface (BCCI) Gruppe, einer Forschungskooperation zwischen dem Chariteé Campus Benjamin Franklin und dem Fraunhofer Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik.
Tatsächlich scheint das Einsatzpotenzial der innovativen Technologie enorm. Allein in Deutschland erleiden pro Jahr etwa 1200 Menschen eine Querschnittslähmung, wie die DGN attestiert. Zwar sind die Betroffenen nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, jedoch: Die Funktionen des Großhirns bleiben trotz Lähmung erhalten. Vor allem Bewusstsein und Willensbildung sind bei solchen Patienten als EEG-Strom intakt. Weil bereits der Wille etwas zu tun, die elektrischen Ströme im Gehirn verändert, lässt sich die BIC-Technik hier besonders gut einsetzen. Auf diese Weise gelang es in Tests nicht nur, Computermäuse auf PC-Bildschirmen mit der Kraft der Gedanken zu bewegen. Auch Armprothesen ließen sich mit Nervenimpulsen steuern.
Der langsame Vorstoß in Richtung Alltag
Für Aufsehen sorgten im Juni dieses Jahres japanische Wissenschaftler am Hitachi Advanced Research Laboratory in Hatoyama unweit Tokio. Erstmals stellte ein High-Tech Konzern eine medizintechnische Anwendung für den Patientenalltag vor: Mit Gedankenpower ließen sich im Test Schalter ein- oder ausschalten, ein Novum. Im Vergleich zu den herkömmlichen BIC-Systemen setzten die Forscher aus Nippon indes auf eine andere Variante, der so genannten optischen Topographie. Bei diesem Verfahren sendet eine auf der Kopfhaut des Patienten liegende High-Tech Sensorenkappe Infrarotstrahlen in Richtung Gehirn. Aus den erfassten Mustern über Unterschiede des Blutflusses während des Gedankengangs rechnet ein Computer, ähnlich dem klassischen EEG-Pendant – die eindeutigen Profile aus.
Auf die Interaktion zwischen Geist und Maschine setzt auch die US-amerikanische Militärforschungsschmiede DARPA. Mehr als 19 Millionen US-Dollar sollen seit 2002 in die Entwicklung des “Brain Machine Interface Program” geflossen sein, wie US-Medien unlängst mutmaßten. Neben der Steuerung von eigenen Körperteilen ließe sich die Verschmelzung der Signale womöglich aber auch ganz anders einsetzen: Menschliche Erinnerungen könnten eines Tages als EEG-Muster in implantierbare Mikrochips gespeichert werden. Vorteil für die Militärs: Ein einfacher Upload würde die Zukunfts-Soldiers in Sachen Motorik auf den neusten Wissensstand bringen.
Quelle: DocCheck